Gesamtprojekte

Von der ersten Idee zu „natürlich berkel“

Lange Zeit spielte die Berkel für das städtische Leben in Stadtlohn eine untergeordnete Rolle. Die Innenstadt hatte der Berkel „den Rücken zugewandt“.

Einer der Ausgangspunkte für das heutige Projekt „natürlich berkel“ war die Neufestsetzung von Überschwemmungsgebieten entlang der Berkel durch die Bezirksregierung Münster im Jahr 2010 – mit erheblichen Auswirkungen für die Innenstadt. Es stellte sich heraus, dass größere innerstädtische Bauflächen von Überschwemmungen gefährdet sind. Im Sommer 2016 erlebte Stadtlohn die erheblichen Schäden, die Hochwasser der Berkel verursachen können. Diese Erfahrungen führten zur Entwicklung des 2012 gestarteten Hochwasserschutzkonzepts.

Parallel überlegten Stadtlohner Bürger gemeinsam mit dem Stadtmarketing, wie sich Stadtlohn der Berkel wieder stärker zuwenden könnte. Das Ziel war es, den Fluss und die nahegelegene Innenstadt wieder miteinander zu verbinden. Viele dieser Ideen flossen zusammen mit den Hochwasserschutzplanungen in das Gerüst des Regionale-2016-Projekts ein.

Stadtlohn hat sich mit dem Regionale 2016-Projekt „Die Berkel! Leben mit dem Fluss“ auf den Weg gemacht, einen ganzheitlichen Lösungsansatz zu entwickeln, der Städtebau, Wasser- und Landwirtschaft sowie Natur- und Landschaftsschutz miteinander verbindet. Die Stadtlohner Projektidee verfolgt das Ziel, den Hochwasserschutz zu gewährleisten, städtebauliche Herausforderungen zu meistern und eine integrierte Planung für die Entwicklung entlang der Berkel zu erarbeiten. Die Berkel besitzt ein großes Potenzial für die Stadt. Stadtlohn benötigt eine langfristige Lösung für sein Hochwasserproblem und öffnet sich zur Berkel hin, um auch in Zukunft als Wohn-, Arbeits- und Lebensstandort attraktiv zu bleiben. Im Jahr 2019 wurden die städtebaulichen und wasserwirtschaftlichen Maßnahmen zum Projekt „natürlich berkel“ zusammengeführt. 

Mit der Fertigstellung der zentralen Teile des Hochwasserschutzkonzepts rund um die Berkelmühle, der Wehranlage und die Uferstraße im Jahr 2024 wird ein großer Meilenstein für die Stadt Stadtlohn erreicht. Die Stadtlohner Bevölkerung konnte sich beim Tag der offenen Tür am 16. Juni 2024 ebenso einen Eindruck verschaffen wie der anwesende nordrhein-westfälische Umweltminister, Herr Oliver Krischer. Am selben Tag wurde die Uferstraße in Engelbert-Sundermann-Straße umbenannt. 

Hochwasserschutz tut Not!

Stadtlohnerinnen und Stadtlohner wissen aus leidvoller Erfahrung: Hochwasserschutz tut Not! Doch der Weg von dieser Erkenntnis bis zum Bau von Schutzanlagen ist weit.

Zuerst gilt es zu bestimmen, welche Flächen die Berkel bei verschiedenen Wasserständen überflutet. Im nächsten Schritt müssen wirksame Schutzmaßnahmen geprüft und mit Betroffenen abgestimmt werden. Da sichtbare hohe Hochwasserschutzmauern in der Bevölkerung wenig Zustimmung finden, müssen alternative Lösungen gefunden werden. Um zu verhindern, dass das Wasser in der Innenstadt über die Ufer tritt, müssen oberhalb der Stadt Rückhaltebereiche geschaffen werden, in denen sich das Wasser stauen kann. Ansonsten könnten sich die Hochwasserprobleme entlang der Berkel weiter verschärfen. Flächen für die Hochwasserrückhaltung sind aber nicht nur für den Hochwasserschutz gut. Sie sorgen gleichzeitig dafür, die ökologischen Verhältnisse im Uferbereich nachhaltig zu verbessern. Werden gewässernahe Flächen regelmäßig auch von kleineren Hochwässern überflutet, kann sich dort die früher natürlich vorhandene Lebenswelt von Flussauen wieder entwickeln. So gehen Hochwasserschutz und ökologische Verbesserung Hand in Hand.

Doch woher sollen die Flächen für die Hochwasser-Rückhaltung kommen? Entlang der Berkel wirtschaften Landwirte, die auf ihre Wiesen und Äcker angewiesen sind. Es sind also schwierige Verhandlungen zu führen.

Damit nicht genug. Gleichzeitig besteht die Aufgabe, Gewässer wie die Berkel wieder in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Dazu gehört z. B., dass Fische nicht durch das Berkelwehr daran gehindert werden, weiter in den Berkel-Oberlauf Richtung Gescher und Coesfeld zu gelangen und auch wieder flussabwärts schwimmen zu können. Es ist deshalb für „Durchgängigkeit“ zu sorgen. Wie geht das? Um den Höhenunterschied des Wassers am Berkelwehr zu überwinden, braucht es eine sogenannte Fischaufstiegsanlage. So eine Anlage ist am Wehr auf der Nordseite der Berkel entstanden. Gleichzeitig wird in das neue Berkelwehr eine Anlage eingebaut, über die die Fische auch wieder flussabwärts gelangen können.

Es müssen zahlreiche technische, hydrologische, ökologische und finanzielle Aspekte geprüft und miteinander in Einklang gebracht werden. Gleichzeitig sind Einigungen mit betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzern über mögliche Grundstückstausche oder -verkäufe erforderlich. Hochwasserschutz, ökologische Verbesserung der Berkel und die Schaffung eines attraktiven Teils der Innenstadt am Fluss sind nur dann erfolgreich, wenn sie gemeinsam umgesetzt werden.

„natürlich berkel“ braucht seine Zeit

Ein Projekt wie „natürlich berkel“ umzusetzen, ist eine langfristige und komplexe Aufgabe. Als Bürger fragt man sich manchmal, warum das alles nicht schneller geht.

„natürlich berkel“ umsetzen heißt zunächst einmal: Aus Ideen müssen Pläne werden. Diese sind mit vielen Beteiligten abzustimmen. Die Pläne sind formal zu genehmigen. Eine Förderung durch Land und Bund gibt es nur nach ausführlicher Prüfung von Förderanträgen der Stadt. Die Pläne für die vielen einzelnen Projekte sind im Detail aufeinander abzustimmen. Der Stadtrat muss beraten und zustimmen. Entlang der Berkel sind mit vielen Grundstückseigentümern Vereinbarungen zu treffen. Genauere Untersuchungen von Bauwerken führen zu Planungsänderungen. Planungsänderungen müssen wiederum genehmigt werden. Den Ablauf der vielen Baumaßnahmen muss man organisatorisch und bautechnisch sinnvoll planen. Jede Baumaßnahme muss in einem formal aufwendigen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden. Bevor Baumaßnahmen starten, müssen Experten alle Bauflächen auf Munition und Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg untersuchen. Und an und in der Berkel darf man aus Gründen des Artenschutzes nur im Winterhalbjahr bauen.

Die Umsetzung der ersten Maßnahmen von 2021 bis 2024 zeigte deutlich, dass der Bau an Gewässern stark von Witterungsbedingungen abhängig ist. Besonders die ergiebigen Niederschläge im Jahr 2023 führten zu erheblichen Bauverzögerungen, da zahlreiche Überschwemmungen das Baufeld an der neuen Wehranlage beeinträchtigten. Zusätzlich verursachten unvorhersehbare Ereignisse wie geologische Unsicherheiten und archäologische Funde weitere Verzögerungen bei der Umsetzung. Trotz eingeplanter Pufferzeiten führten diese Umstände zu Verzögerungen in nachfolgenden Bauabschnitten. Der Bau an Gewässern ist komplex und mit zahlreichen Abhängigkeiten sowie Herausforderungen verbunden.

 

Die wichtigsten Meilensteine von „natürlich berkel“:

Geplanter Baubeginn für die Hochwasserschutzmaßnahmen ist Oktober 2021. Vorgezogen werden im Jahr 2020 Rohbauarbeiten an der Berkelmühle.

Der weitere Ablauf der einzelnen Projekte von „natürlich berkel“ ist nach derzeitiger Planung wie folgt vorgesehen:

Bis 2024 sollen die innerstädtischen Baumaßnahmen entlang der Berkel abgeschlossen sein. Maßnahmen der Hinterlandentwässerung werden ggf. noch in späteren Jahren im Zusammenhang mit anderen Entwässerungsmaßnahmen umgesetzt.

Fördermittel von Bund und Land NRW ermöglichen „natürlich berkel“

Regierungspräsidentin Feller bei der Übergabe des Förderbescheids. v.l.: Bürgermeister Helmut Könning, Mathias Pennekamp, Regierungspräsidentin Dorothee Feller, Gerd Große Frericks

Regierungspräsidentin Feller bei der Übergabe des Förderbescheids im Dezember 2019. v. l.: Bürgermeister Helmut Könning, Mathias Pennekamp, Regierungspräsidentin Dorothee Feller, Gerd Große Frericks

„natürlich berkel“ hat ein Investitionsvolumen von über 30 Mio. Euro. Bund und Land NRW unterstützen Stadtlohn dabei aus verschiedenen Fördertöpfen.

Von Seiten der Wasserwirtschaft gibt es Förderungen aus Mitteln des Hochwasserschutzes und aus Mitteln zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL). Aus Mitteln des Hochwasserschutzes werden Maßnahmen wie Hochwasserschutzwände und ähnliche Schutzanlagen gefördert. Ziel der EG-WRRL ist es, die Gewässer in Europa und damit auch die Berkel wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Dazu dienen beispielsweise Maßnahmen zum Rückbau von Flussbegradigungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen für Fische und andere Lebewesen in der Berkel. Zu den beiden zuletzt genannten Maßnahmentypen gehören beispielsweise die neue Fischaufstiegsanlage und die neu geschaffenen Auenbereiche entlang der Berkel.

Basierend auf dem Hochwasserschutzkonzept der Stadt Stadtlohn und den Vorgaben der Genehmigung (Planfeststellung) hat die Stadt bei der Bezirksregierung Münster mehrere Anträge auf Fördermittel eingereicht. Das Land fördert die Kosten der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen der Stadt Stadtlohn mit bis zu 80 %. Das ist der höchstmögliche Förderbetrag. Das macht deutlich, wie wichtig die Maßnahmen auch aus Sicht des Landes NRW sind.

Die meisten städtebaulichen Maßnahmen in „natürlich berkel“ fördert die Städtebauförderung des Bundes und des Landes NRW mit einem Anteil von 60 % der Gesamtkosten, z. B. für den Umbau der Berkelmühle und die Neugestaltung des Mühlenplatzes.

Trotz hoher Förderung verbleibt noch ein großer Betrag, den Stadtlohn selbst „stemmen“ muss. Diese Investitionen sind zukunftsweisend: Sie bieten verbesserten Schutz vor Hochwässern, fördern eine ökologisch intakte Berkel und erhöhen die Lebensqualität in der Stadt. Zudem schaffen sie neue Aufenthaltsmöglichkeiten entlang der Berkel und steigern die Attraktivität auch für Besucher. Darüber hinaus setzen sie Impulse für weitere privat finanzierte Entwicklungsprojekte.